Versuch einer zusammenfassenden Darstellung der postembryonalen Entwicklung der Insekten. Die Gradient-Faktor-Theorie der Insektenmetamorphose.

Autor/innen

  • Vladimír Jan Amos Novak

DOI:

https://doi.org/10.21248/contrib.entomol.6.5-6.464-493

Abstract

Die vorliegende Arbeit ermöglicht eine einheitliche Erklärung des Wesens und der Entstehung der Insektenmetamorphose. Sie beruht auf der vom Verfasser vorausgesetzten Existenz eines für das Wachstum unentbehrlichen Faktors von der Art des Desmo-Hormons, der als Gradient-Faktor bezeichnet wird. Die Art seiner Verteilung im Larvenkörper bildet die Ursache der im Metamorphoseverlauf eintretenden Formenveränderungen. Aus dem vom Verfasser erbrachten Beweis der Ordnungs-Unspezifität des Juvenilhormons ergibt sich die Identität der wichtigsten stofflichen Faktoren, die im Verlauf der postembryonalen Entwicklung zur Geltung gelangen, und damit auch die Möglichkeit, die bei den verschiedensten Insektenarten gewonnenen Erkenntnisse für die Aufstellung einer Gesamtkonzeption zu verwenden. Nach einem Überblick über die wichtigsten Erkenntnisse, auf welche sich diese Theorie aufbaut, erklärt der Verfasser ihre grundlegenden Thesen und bringt im wesentlichen die Zusammenfassung einiger seiner früheren Arbeiten, die er mit Erkenntnissen ergänzt, die sich im Verlauf von fünf Jahren seit der Veröffentlichung der ersten Grundrisse in der Weltliteratur angesammelt haben. Nachdem er die Möglichkeit aufgezeigt hat, wie diese Konzeption bei der Erklärung einiger bisher nicht gelöster Fragen der Entwicklung von Pterygoten angewendet werden kann (Entstehung des Juvenilhormons, Puppenstadiums, Entstehung der wichtigsten Abweichungen in der Entwicklung u.a.), wendet er sich der Diskussion einiger Ergebnisse von Arbeiten über die Metamorphosehormone vom Standpunkt der Gradient-Faktor-Theorie zu. Die Hauptthese der Gradient-Faktor-Theorie der Insektenverwandlung kann kurz folgendermaßen zusammengefaßt werden: Die einzelnen Körperteile der Insektenlarve können nach ihrem Verhalten im Metamorphoseverlauf in zwei Gruppen eingeteilt werden, und zwar in larvale Anteile, die in der Verwandlungsperiode aufhören zu wachsen und gewöhnlich teilweise oder ganz der Histolyse unterliegen, und in imaginale Anteile mit einer gesteigerten Intensität des Wachstums. Das Wesen der Verwandlung besteht im Übergang vom gleichmäßigen (isometrischen, harmonischen) Wachstum der Larvalperiode zum ungleichmäßigen (allometrischen, disproportionalen) Wachstum. Die Ursache dieses Überganges liegt in der Unfähigkeit larvaler Körperanteile, bei Abwesenheit des in den Corpora allata gebildeten Juvenilhormons zu wachsen. Als Ursache dieser Unfähigkeit zum Wachstum wird der Mangel ihres eigenen Gradient-Faktors angesehen, d. i. eines für das Wachstum unentbehrlichen Stoffes von der Art des Desmo-Hormons. Körperanteile, welche keinen eigenen aktiven Gradient-Faktor besitzen, sind unfähig zu wachsen, sofern dieser Mangel nicht durch das Juvenilhormon aus der Hämolymphe kompensiert wird. Die Verteilung des Gradient-Faktors ist die Hauptursache der Formenveränderungen bei Abwesenheit des Juvenilhormons. Die gesteigerte Intensität des Wachstums imaginaler Anteile im Verwandlungsablauf ist nur eine mittelbare Folge der Verbesserung ihrer Ernährung dadurch, daß der Verbrauchsanteil der larvalen Anteile wegfällt (Gesetz der inneren Verbrauchskorrelation, vgl. S. 231). Der zur Zeit der Verwandlung den imaginalen Körperanteilen zur Verfügung stehende Vorrat wird dabei noch um die Masse der histolysierten larvalen Anteile erhöht. Aus der Voraussetzung des Gradient-Faktors ergibt sich auch eine einfache Erklärung für den Wirkungsmodus des Juvenilhormons. Dieses Hormon verlängert für die Dauer seiner Wirkung des Wachstum larvaler Körperanteile, welche den Gradient-Faktor nicht besitzen und bereits am Ende der Embryonalperiode absterben würden, und verwandelt somit das ungleichmäßige Wachstum der Embryonalperiode in das für die ganze postembryonale Periode bezeichnende gleichmäßige Wachstum. Die anderen zwei Metamorphosehormone, das Hormon der neurosekretorischen Zellen der Pars intercerebralis (Aktivationshormon) und das Hormon der Thoraxdrüsen (Häutungshormon), sind zwar eine unerläßliche Bedingung für das normale Wachstum, greifen aber zum Unterschied vom Juvenilhormon nicht in das Prinzip der Formenentwicklung ein. Da jedoch das Juvenilhormon durch die exkretorische Tätigkeit der Malpighischen Schläuche ständig aus der Hämolymphe entfernt wird, bedeutet ein jeder Stillstand in seiner Produktion gleichzeitig ein Absinken seiner Menge in der Hämolymphe unter die minimale wirksame Konzentration. Dies tritt in der Zeit um jede Häutung ein. Deshalb dauert es zu Beginn eines jeden Instars nach Wiederaufnahme der Tätigkeit der Corpora allata immer einer gewissen Zeit, bis die minimale wirksame Konzentration wieder erreicht wird. Bis dahin können nur die den Gradient-Faktor enthaltenden Körperteile wachsen, weshalb das Wachstum des Körpers als Ganzes ungleichmäßig (allometrisch) ist. Es zerfällt also die Wachstumsperiode in jedem Instar in eine Anfangsperiode des ungleichmäßigen Wachstums unter dem Einfluß des Gradient-Faktors und in die darauffolgende Periode des gleichmäßigen Wachstums unter dem Einfluß des Juvenilhormons. Da die Menge des Juvenilhormons, die während einer Zeiteinheit in eine volumetrische Einheit der Hämolymphe ausgeschieden wird, unter anderem auch von der Oberfläche der Corpora allata abhängt, die mit dem Quadrat wächst, während das Körpervolumen mit dem Kubus zunimmt, so tritt die minimale wirksame Konzentration in jedem folgenden Instar immer etwas später ein. Dieser Effekt wird noch dadurch verstärkt, daß sich das Volumen der Corpora allata wesentlich langsamer vergrößert als das Totalvolumen des Körpers. Da ferner diese Beziehung nicht in gleichem Ausmaße für das Wachstum der Spender des Aktivations- und Häutungshormons gilt, ergibt sich als Folge, daß die Periode des ungleichmäßigen Wachstums sich in jedem folgenden Instar auf Kosten der Periode des gleichmäßigen Wachstums verlängert. So entsteht früher oder später ein Instar, in dem die minimale wirksame Konzentration des Juvenilhormons überhaupt nicht mehr erreicht wird. Dieses Instar ist dann das letzte und sein Ergebnis ist die Verwandlung. Die Anzahl der Larvalinstare ist somit bei jeder Art durch das Verhältnis zwischen dem Ansteigen der Produktion des Juvenilhormons und dem Wachstum des Körpers gegeben. Die Gradient-Faktor-Theorie erachtet in Übereinstimmung mit der früheren morphologischen Theorie von Berlese-Jeschikov die Verwandlung als letzten Abschnitt der embryonalen Formenentwicklung, der an das Ende der postembryonalen Entwicklung verschoben ist, und erblickt die Ursache dieser Verzögerung in der Wirkung des Juvenilhormons. Die Besonderheit der Unterklasse der Pterygoten bilden somit nicht die Formenveränderungen in der Verwandlungsperiode, sondern das gleichmäßige Wachstum in der Larvalperiode, womit sie sich auch von den anderen Gliederfüßlern unterscheidet. Es muß daher die Ursache für die Entstehung der Pterygoten in der Entwicklung des Juvenilhormons gesucht werden. Auf Grund der übereinstimmenden Wirkung von Juvenilhormonen und Gradient-Faktor (d.i. Aktivierung des Wachstums) wurde die Vermutung ausgesprochen, daß sich das Juvenilhormon in der Phylogenese der Pterygoten als ein in der Hämolymphe lösliches Element des Gradient-Faktors der neu entstandenen Corpora allata entwickelt hat. Die Bedeutung, welche der Entstehung des Juvenilhormons für die Entwicklung der heute riesigen Gruppe der Pterygoten zukommt, kann mit Recht mit jener Bedeutung verglichen werden, welche die Entstehung der Homöiothermie für die Entwicklung der Vögel und Säuger die Lebendgebürtigkeit für die Säuger und andere Arromorphosen (im Sinne von Severcov) besitzen. Gestützt auf die Gradient-Faktor-Theorie, verhält sich der Verfasser zu der von Poyarkoff und Hinton entwickelten Theorie über die Entstehung des Puppenstadiums ablehnend und betont zum Unterschied von dieser die Unentbehrlichkeit einer zweifachen Häutung in der Metamorphosenperiode, das ist nach beendeter Differenzierung der Imaginalscheiben. In Übereinstimmung mit seiner Erklärung des Wirkungsmodus des Juvenilhormons beleuchtet der Verfasser auch den Zusammenhang zwischen der inneren Anlage der Imaginalscheiben und dem Vorkommen des Puppenstadiums bei Endopterygoten und bespricht die abweichenden Ansichten anderer Autoren. Voraussetzung des Gradient-Faktors und die Klarlegung der Funktion des Juvenilhormons erbringt auch einen neuen Gesichtspunkt für die Beurteilung von experimentellen und natürlichen Entwicklungsstörungen, die als Metathetelie und Prothetelie bezeichnet werden. Der Verfasser führt die neuen Kategorien der progressiven und regressiven Heterochronien ein und unterscheidet zwischen progressiver und regressiver Metathetelie und progressiver und regressiver Prothetelie. Er schlägt vor, die Kategorie der Hysterotelie den Störungen nicht hormonaler Herkunft vorzubehalten und zeigt die Möglichkeit, einige dieser Störungen mit den Störungen in der räumlichen und zeitlichen Verteilung des Gradient-Faktors zu erklären. Er verweist ferner darauf, daß einige Ausnahmefälle der Metamorphose (Polymetabolie, Hypermetamorphose, regressive Metamorphose) als kleine erbliche Abweichungen in der Wirkung der Metamorphosehormone erklärt werden können. Im Schlußteil der Arbeit werden Ergebnisse von einigen Arbeiten der letzten Zeit über Metamorphosehormone diskutiert, die in scheinbarem Widerspruch zur Gradient-Faktor-Theorie stehen, und die Übereinstimmung von Erkenntnissen der letzten fünf Jahre mit den Voraussetzungen dieser Theorie festgestellt.

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Veröffentlicht

1956-12-31

Zitationsvorschlag

Novak, V. J. A. 1956: Versuch einer zusammenfassenden Darstellung der postembryonalen Entwicklung der Insekten. Die Gradient-Faktor-Theorie der Insektenmetamorphose. - Beiträge Zur Entomologie = Contributions to Entomology 6(5-6): 464–493 - doi: 10.21248/contrib.entomol.6.5-6.464-493

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