Die plastische Modifikation des Flügels von Pyrrhocoris apterus Linné (Hemiptera, Heteroptera, Pyrrhocoridae).

Autor/innen

  • Gustav Seidenstücker

DOI:

https://doi.org/10.21248/contrib.entomol.3.1-2.29-55

Abstract

Eine Rückschau auf das Ausmaß der Flügelvariation bei Pyrrhocoris apterus L. ergibt, daß die vorgefundene Vielgestaltigkeit sich im Rahmen der bei vielen Heteropteren schon fixierten Abstufung der Flügellänge bewegt. Damit sind die finalen Tendenzen des Gestaltwandels vorgezeichnet. Der kausale Anlaß dafür wurde in Verbindung mit den Veränderungen physiologischer, biologischer und ökologischer Art gesucht und in der Plastizität des Nahrungsinstinktes gesehen, womit neue Verbreitungsgebiete und Entwicklungsmöglichkeiten eröffnet worden sind, die dann in mehreren Merkmalen zur Anpassung an die neuen Umweltsbedingungen zwangen. Anhand der abändernden Flügel gewährte die Feuerwanze einen Einblick in das Wesen der Brachypterie unter den Heteropteren und veranschaulichte den Pterygopolymorphismus als einen allmählichen Umbildungsvorgang, der stufenweise und innerhalb der Stufen mit asymmetrischer Anomalie fortschreitet. Dabei wird der verflossene Entwicklungsgang noch in alternativer Modifikabilität wiederholt, und hebt sich hier bereits mit erkennbarer Trennlinie vom gegenwärtigen Lebenslagetypus, der forma subbrachyptera (Norm) ab. - Die Heranbildung weiterer Reduktionsstufen wird bewußt durch eine gesteigerte und fließend modifizierende Minderung der Deckflügel, wobei Veränderungen nigristischer Art an der Zeichnung den plastischen Umbildungen vorausgehen. Der Zusammenhang der irregulären Melaninablagerung in Querbindenform mit den Verkürzungsvorgängen wurde anhand von Bildreihen wahrscheinlich gemacht und aus der gleichen Bedingtheit beider Erscheinungen gefolgert. Die Gesamtheit der mannigfaltigen Flügelformen ist in der Anlage genetisch vorhanden und bildet die artspezifische Reaktionsbasis, das heißt, jedes Individuum enthält die gesamten Möglichkeiten vom maximalen Explikanten bis zum minimalen Reduzenten als Reaktionsnorm. Welcher Flügeltyp jeweils in Erscheinung tritt entscheiden die Außenfaktoren. Temperatur und Klima als bedeutendste Wirkkräfte haben auf die Flügelform entscheidenden Einfluß ausgeübt und sind weiterhin tätig. Sie sind jedoch nur indirekt wirksam und soweit durch die jeweiligen Reizgrade gemeinschaftlich alle übrigen Komponenten hervorgerufen werden, die den Stoffwechselprozeß dann derart nachhaltig umgestalten können, daß die Entstehung verschiedener Flügeltypen gesichert ist. - Die bei anderen Heteropteren bekannten mehrstufigen Reduktionsformen sind nach dem Vorbild der Feuerwanze einzuschätzen und dürfen nicht als Mutationen betrachtet werden. Es handelt sich vielmehr um mehr oder weniger stark fixierte Lebenslagetypen, die ganz nach der ökologischen Valenz und dem Grad der beibehaltenen Elastizität ihrer inneren Faktoren sprunghaft oder fließend mehrere Ausbildungsstufen verwirklichen können. Extreme Brachypterie verbindet sich dabei oft mit hochspezialisierter Anpassung aller Lebenserscheinungen, verständlich durch den gleichzeitigen Verlust der ursprünglichen Reaktionspotenzen (gehemmtes Regenerationsvermögen). Das Weibchen eilt in der Anpassung meist voraus, weshalb den Flügel-Polymorphismus häufig ein Dimorphismus der Geschlechter begleitet.

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Veröffentlicht

1953-04-30

Zitationsvorschlag

Seidenstücker, G. 1953: Die plastische Modifikation des Flügels von Pyrrhocoris apterus Linné (Hemiptera, Heteroptera, Pyrrhocoridae). - Beiträge Zur Entomologie = Contributions to Entomology 3(1-2): 29–55 - doi: 10.21248/contrib.entomol.3.1-2.29-55

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