Beobachtungen über Wanderflüge von Pieris brassicae L.

Autor/innen

  • Hans Blunck

DOI:

https://doi.org/10.21248/contrib.entomol.4.5-6.485-528

Abstract

1. Es wird über einen sich über mehrere Wochen hinziehenden Wanderflug von Pieris brassicae L. im August 1936 an der Kieler Förde und über einiges weiteres einschlägiges Material berichtet. Die Ursachen des Phänomens, seine Begleiterscheinungen sowie die Auswirkung auf den Massenwechsel der Art werden diskutiert. - 2. Anhand der dabei angefallenen Beobachtungen wird wahrscheinlich gemacht, daß die Wanderflüge von Pieris brassicae L. einen Sonderfall des Bestrebens der Falter darstellen, die Schlüpfstätte alsbald zu verlassen und diese nicht wieder zu belegen. Es ist nicht ausgeschlossen, daß massiertes Heranwachsen der Brut auf engem Raum den Wandertrieb der dort zum Schlüpfen kommenden Vollkerfe verstärkt. - 3. Die Tendenz zum Ausführen von Wanderflügen ist bei den Frühlingsfaltern ("1. Generation") von Pieris brassicae L. kaum geringer als bei den Sommerfaltern ("2. Generation"). Ihre Betätigung ist aber weniger augenfällig, weil die Frühlingsfalter in der Regel viel spärlicher auftreten als die Sommerfalter. - 4. Die Wanderfalter fliegen völlig unabhängig voneinander. Sie können also auch einzeln auftreten. Scharenweiser Flug ist die Folge gleichzeitigen Aufbruchs vieler Individuen und des Einhaltens der gleichen Zugrichtung. - 5. In Schleswig-Holstein gehen die Wanderflüge der Sommerfalter fast immer in südwestlicher bis südlicher Richtung. Bei den Frühlingsfaltern sind auch Wanderflüge in nördlicher Richtung beobachtet. - 6. Die einmal eingeschlagene Wanderrichtung wird starr und ständig festgehalten. Die Ursachen dieser Bindung sind noch unbekannt. - Wind beeinflußt zwar die Fluggeschwindigkeit sowie die Einstellung des Körpers zur angestrebten Wanderrichtung und kann den Faltern auch vorübergehend die Flugrichtung aufzwingen, bestimmt über die Wanderrichtung aber im übrigen nicht. Nach Möglichkeit meidet der Falter bewindete Zonen. Oberhalb Windstärke 4 stellt er den Flug ein. - 7. Während der Wanderung auf größere Gewässer (Meere, Seen) stoßende Flieger folgen zuweilen längere Zeit dem Verlauf des Ufers. Beziehungen zu der dortigen Luftströmung werden vermutet. - 8. Die durchschnittliche Fluggeschwindigkeit liegt zwischen 2 und 4 m/sec. Vom Wind getragene Falter bringen es bis zu 10 m/sec, der Flug geht aber häufiger gegen den Wind oder im Winkel zu diesem als mit ihm. - 9. Ebenso wie die vagabundierenden Falter fliegen die Wanderfalter nur oder praktisch nur an sonnigen Tagen. Der Aufbruch erfolgt morgens zeitig nach kurzem Sonnenbad, und der Flug dauert dann ohne Rastpausen, also auch ohne Nahrungsaufnahme - der Kropf der Wanderfalter ist luftgefüllt - bis kurz vor Sonnenuntergang. Die Übernachtung erfolgt an windgeschützten Schlafplätzen, die näher charakterisiert werden. - 10. Die tägliche Flugleistung liegt schätzungsweise zwischen 70 und 130 km. - 11. Die Männchen sind am Wanderflug weniger beteiligt als dem normalen Geschlechtsverhältnis (1:1) entspricht. In den letzten Wandertagen verschiebt sich das Verhältnis aber zu ihren Gunsten. - 12. Die Weibchen werden vor dem Abflug begattet und wandern dann bald ab. Der Wanderreiz erlischt wahrscheinlich spätestens, wenn die Eier legereif geworden sind, also etwa 3 Tage, nachdem der Falter geschlüpft ist. - 13. Die maximal von Wanderfaltern zurückgelegte Entfernung liegt schwerlich über 400 km und bleibt wahrscheinlich meist erheblich dahinter zurück. Es scheint daher ausgeschlossen, daß die wiederholt in den Alpen registrierten Zuflüge von Pieris brassicae L. stammen. - 14. Als eine der Ursprungsstätten von Wanderflügen wurde im August 1936 ein Steckrübenschlag (Brassica napus var. esculenta) an der Ostküste von Schleswig-Holstein festgestellt, auf dem mindestens 3 und maximal 10 Millionen Falter geschlüpft sein dürften. Ein kleiner Teil wurde beim Abflug beobachtet. Es wird gefolgert, daß die in den Landstrichen an der Ostseeküste Norddeutschlands häufig angebauten Steckrüben bei frühzeitiger Bestellung und Frühkohlbestände, vor allem aber auch mit Ackersenf und Hederich verunkrautete Haferfelder, ein gut Teil der aus diesen Gebieten stammenden Wanderflieger stellen. - 15. Für die Auffassung, daß die in Deutschland zur Beobachtung kommenden Wanderzüge z.T. von den dänischen Inseln und aus Schweden stammen, wird stützendes Material beigebracht, besonders für die Jahre 1936 und 1953. Herkunfstätten sind auch dort wahrscheinlich in 1. Linie verunkrautete Getreidefelder, daneben Kohl- und Rübenbestände. Strandkruziferen waren dabei 1953 wahrscheinlich nicht oder nur wenig beteiligt. - 16. Die Angabe, daß die an Strandkruziferen wie Cahile maritima, Crambe maritima und Lepidium latifolium heranwachsende Brut von Pieris brassicae L. von Befall durch Apanteles glomerutus L. verschont bleibt, wird widerlegt. - 17. Das Abwandern der Weibchen von der eigenen Geburtsstätte wirkt sich in verminderter Parasitierungsgefahr ihrer eigenen Brut aus.

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Veröffentlicht

1954-12-31

Zitationsvorschlag

Blunck, H. 1954: Beobachtungen über Wanderflüge von Pieris brassicae L. - Beiträge Zur Entomologie = Contributions to Entomology 4(5-6): 485–528 - doi: 10.21248/contrib.entomol.4.5-6.485-528

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