Zum morphologischen Bau und zur funktionellen Bedeutung der Ocellen der Libellen (Odonata).

Autor/innen

  • Paul Münchberg

DOI:

https://doi.org/10.21248/contrib.entomol.16.1-2.221-249

Abstract

Bei den Anisopteren und den Zygopteren weisen die in Dreiecksform auf der Vertexregion untergebrachten Stirnaugen hinsichtlich ihrer Aperturen deutliche Unterschiede auf. Während sich bei den Großlibellen der größere Frontalocellus mehr nach vorn, also in der Hauptflugrichtung, die beiden kleineren seitlichen Punktaugen lateralwärts öffnen, sind bei den Kleinlibellen die Aperturen aller drei Scheitelaugen aufwärts gerichtet. Bei den „Ungleichflüglern" erfährt das Ocellusdreieck — eine Ausnahme bilden die Angehörigen der Gomphidae, einerseits durch die mächtige Ausbildung der Komplexaugen und den vor denselben befindlichen Chitinwulst und andererseits durch die halbkugelig aufgeblähte Stirnblase eine räumliche Einengung. Der auf diese Weise entstehende Eindruck einer grubenartigen Versenkung der Stirnaugen, dies gilt besonders von dem Medianocellus, weniger von den beiden Lateralocellen, ist gegenüber der offenen und freien Lage der Stirnocellen bei den Zygopteren mit einer gewissen Einschränkung des Lichteinfalles verbunden, welche sich aber für die Perzeption der in der Hauptflugrichtung das mittlere Punktauge treffenden Lichtstrahlen günstig auswirken muß. Da sich bei den Vertretern der beiden Unterordnungen der Odonaten die Scheitelaugen in verschiedenen Niveaus „installiert" befinden, kann von einer raumdimensionalen Anordnung derselben gesprochen werden. Über die Breiten- und Längendurchmesser der ellipsoidisch geformten Cornealinsen, welche als Kondensatoren die elektromagnetischen Schwingungen auf die photorezeptorischen und -transformierenden Elemente der Retina leiten, werden durch genaue Messungen dieser dioptrisch arbeitenden "Hilfsorgane der zusammengesetzten Augen" bei einer Reihe von Anisopteren- und Zygopteren-Arten genaue Angaben gemacht. Die größeren Dimensionen der Stirnaugen der Großlibellen, welche sicherlich mit einem stärkeren Differenzierungsgrad der die elektromagnetischen Schwingungen perzipierenden und transformierenden Zellelemente der Retina verbunden sind, gegenüber denen der Kleinlibellen werden mit den besseren Flugleistungen der ersteren in Zusammenhang gebracht. Der Umstand, daß bei den zu Dämmerungsflügen tendierenden Anisopteren der Medianocellus auffallend groß ausgebildet ist, rechtfertigt die in der Literatur von anderen Insekten vertretene Annahme, daß auch die Libellenocellen als Rezeptoren für geringe Lichtintensitäten aufzufassen sind, die auf Grund dieser Funktion die Leistungen der Facettenaugen nachhaltig unterstützen. Durch verhaltenskundliche Experimente, welche ohne Ausnahme in der freien Natur ausgeführt wurden, wird weiter bestätigt, daß auch den Stirnaugen der Odonaten die Aufgabe einer photokinetischen und phototaktischen Stimulation zufällt. Auf Grund der von Ruck mit dem elektrophysiologischen Verfahren auch bei den Libellen erzielten ERGs sind bei diesen Insekten die Ocellen ob ihrer phasischen Eigenschaften geradezu für die Perzeption von Helligkeitsänderungen prädestiniert. Aus diesem Grunde wäre bei der experimentellen Erprobung der photokinetischen Reaktionsfähigkeit statt einer Heranziehung stationären Lichtes die Verwendung einer Lichtquelle mit schnell aufeinanderfolgenden Helligkeitsänderungen notwendig gewesen. Da sich eine wirklich leistungsfähige Quelle zur Erzeugung von Flimmerlicht in freier Natur nicht in Betrieb setzen ließ, mußte auf eine entsprechende Ausweitung meiner Experimente verzichtet werden. Weil das Verhalten der Libellen weitgehend von den thermischen Gegebenheiten mitbestimmt wird, experimentierte ich nicht bei direktem Sonnenlicht, sondern unter diffusem Tageslicht. Dies war wohl auch der Hauptgrund, daß die Versuche nicht befriedigten, durch welche geklärt werden sollte, welcher Wellenbereich des Lichtes für die photokinetische Reaktion der Versuchstiere verantwortlich gemacht werden darf. Durch Freilassen der ocellengeblendeten Odonaten, deren Flügelunterseiten mit einem Farbaerosol weithin sichtbar gekennzeichnet worden waren, sollte geklärt werden, ob die Scheitelaugen als lebenswichtige Organe zu werten sind. Es wird der Nachweis erbracht, daß die ocellengeblendeten Anisopteren (Versuchstier: Cordulegaster boltonii) einige Tage, die Zygopteren (Versuchstier: Lestes sponsa) sogar einige Wochen den Eingriff überleben können. Diese Beobachtungstatsache darf wohl so gedeutet werden, daß die Ocellenfunktionen zum Teil von den Komplexaugen mitübernommen bzw. beim Ausfall der ersteren von Seiten der letzteren teilweise kompensiert werden können. Gegenüber den intakt gelassenen Artgenossen zeigt sich aber das Verhalten der ocellengeblendeten Odonaten (Cordulegaster boltonii und Lestes sponsa) ungünstig beeinflußt, so daß wichtige Lebensfunktionen nicht mehr ausgeübt werden können. Demnach dürfen bei den Libellen die Stirnaugen weit mehr als z.B. bei den Bienen nach den Untersuchungen von Lindauer & Schricker als lebensnotwendige Einrichtungen betrachtet werden. - Auf Grund der raumdimensionalen Anordnung und größenmäßig wegen ihrer unterschiedlichen Ausbildung dürften mit größter Wahrscheinlichkeit die Ocellen der Odonaten ihre Träger auch über die Richtung der einfallenden Lichtstrahlen informieren.

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Veröffentlicht

1966-03-31

Zitationsvorschlag

Münchberg, P. 1966: Zum morphologischen Bau und zur funktionellen Bedeutung der Ocellen der Libellen (Odonata). - Beiträge Zur Entomologie = Contributions to Entomology 16(1-2): 221–249 - doi: 10.21248/contrib.entomol.16.1-2.221-249

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